Ramón oder der Traum von rosaroten Schmetterlingen

Foto ©reated by Fabrice Tignac

Ramón, so erzählt man, ist auf der Suche nach rosaroten Schmetterlingen, und Ramón, das sieht man, hat die schönste Nase der Welt und sie ist so schön, dass ihr nichts widerfahren soll.
Ein frommer Wunsch.
Aber darf man jemandem, in diesem Fall Ramón, einen ungewollten Wunsch so mir-nichts-dir-nichts an die Fersen heften und seinen Träger des Weges ziehen lassen mit der Auflage: Hier geht unwiderruflich der, dessen Nase unzerstörbar sein soll!?
Es scheint mir waghalsig, sich auf diese ungebetene Weise in das Schicksal von Ramón einzumischen.
Würde nicht manch einer sogar von Dreistigkeit sprechen oder den Wünscher der Einfältigkeit bezichtigen wollen? Denn wer glaubt schon daran, dass Wünsche in Erfüllung gehen, besonders die guten, und als solcher ist dieser auf den ersten Blick erkennbar.
Warum also furchtsam sein? Gute Wünsche. Böse Wünsche.
Auch im Bezug auf schöne Nasen, wie die von Ramón. „Soll er doch eins auf die Nase kriegen mit seinen rosaroten Schmetterlingen! Er wird schon sehen, was er davon hat!“
Kein frommer Wunsch.
Eine Nase, überfallen von rosaroten Schmetterlingen. Überfallen von Worten, die, in den Tag entlassen, blitzartig Verwirrung stiften und Wunden schlagen, denn wenn jemand zu sprechen anhebt, ist man auch Sätzen wie: Das kommt davon! Rosarote Schmetterlinge! Kein Mensch kommt auf die Idee, rosarote Schmetterlinge zu suchen! Das hast Du jetzt davon! ebenso schutzlos ausgeliefert wie den guten und den bösen Wünschen. Aber vor den möglicherweise irgendwann herbeigewünschten Nasenschmerzen verbleibt Ramón noch viel Zeit, in der er immer wieder von seinen wunderschönen, blaßrosafarbenen Schmetterlingen träumt, die sich auf seine Hand setzen.
Ramóns Vater war zu Lebzeiten Landarbeiter. Schriftsteller. Liebender und Geliebter. Politischer Häftling und Getöteter.
Ein Getöteter wird man, indem sich ein Mensch oder mehrere zu einem bestimmten unvorhersehbaren Zeitpunkt zum Generalbevollmächtigten des Lebens anderer machen und bestimmen, dass ein Leben mit all seinen Verflechtungen ein Ende nehmen muss. Sie fällen ihr Urteil.
Messerscharf wie diese Worte, dass mich fröstelt.
Die Entscheidung wird begründet und im Urteil verkündet. Umgehend wird es dem noch Lebenden und den Ausführenden des Tötungsaktes mitgeteilt. Die Henker setzen den Auftrag zum Töten zur Vollstreckung des Urteils gemäß den Vorschriften und einem möglichen Handlungsspielraum um. Sie führen das Töten durch. Sie töten.
Ramón erreicht diese Todesbotschaft auch.
Aber gegen das Töten seines Vaters kann er sich ebensowenig zur Wehr setzen wie gegen die Überbringung der Nachricht. Nicht einmal gegen die Art und Weise der Übermittlung.
Wenn er sich später daran erinnert, wird sich jedes Zusammenschlagen gestiefelter Hacken immer wieder mit dem Geruch von frischem Brot und Zwiebeln vermischen, und es wird keine Schmetterlinge mehr geben, nur einen Käfig aus zwei dünnen, auseinander gezogenen Schatten, die vor dem Lichteck in der geöffneten Holztür beginnend über den ockerfarbenen Lehmboden führen und in einem bizarren Winkel an der gekalkten Wand hoch bis zur Decke laufen und von dort aus, ebenfalls verzogen und allen Unebenheiten derselben folgend, zum Eingang zurück streichen.
Aber noch ist es nicht soweit. Noch spielt Ramón auf dem festgestampften Lehmboden mit den Wassertropfen, die seine Mutter ihm dort hinsprenkelt, und auf dem Bauch liegend, das rechte Bein angezogen, pustet er mit aufgeblähten Wangen die Wasserkügelchen über den Boden, so, dass sie eine zunächst noch dünne Staubschicht an der Oberfläche anlagern und es einen Augenblick gibt, in dem die Kügelchen einen ihrer Größe angemessen idealen Staubmantel haben und mit behender Leichtigkeit für einen Moment lang über den Lehmboden rollen, dann aber, immer schneller träge werdend, zu viel Staub aufnehmen und wie frisch aufgehäufte kleine Grabhügel wahllos den Boden bedecken.

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