Texte aus dem Bilderbuch

Briefe und Erzählungen

von        ab 1999

 

Painting ©reated by Marie-Denise Douyon


Meine Worte

Painting ©reated by Pazza Pennello

...wer immer sie findet, mag sie behalten und sein eigen nennen, wenn ihm danach ist. Mir liegt nichts mehr daran. Klein sind sie mir geworden. Wie ein Pullover aus Kindertagen. Allein beim Überfliegen der Zeilen schnürt es mir die Luft ab...
Das sind die besonders Sensiblen, hat Fräulein Knaup gesagt. Meine erste Lehrerin.

Ob sie es war, die Wert auf die Anrede Fräulein legte oder ob es den Verheirateten ihren Alters, die mit Frau angeredet wurden, zum Vorteil oder zur Ehre geschah und ihr als Unverheirateter somit zur Schande sein musste, kann ich nicht sagen.
Ich war Kind, damals in einer Welt, die Frauen in Tanten, Großmütter, Mamas und Mütter, Frauen und Fräuleins teilte. Mädchen, Backfische, Gören, Blagen und Zicken waren noch keine Frauen. Sie waren Jungfrauen.
Ein Zustand, dessen Ende einzig und alleine durch eine kirchliche Heirat angestrebt werden durfte. Einer standesamtlichen Hochzeiten schenkte niemand auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Vielleicht gab es sie deswegen auch gar nicht.
Heute von etwas zu sprechen heißt doch noch lange nicht, das es schon immer da war, oder?

Hör dir den folgenden Satz an.
Ich habe hin und her überlegt, ob ich die städtische Müllabfuhr in Anspruch nehme, die Sammelcontainer oder die Entsorgung in freier Natur...
Früher hätte kein Mensch so etwas gesagt. Zumindest nicht dort auf dem Land, wo ich groß geworden bin.
Sammelcontainer.
Allein auf das Wort wäre niemand gekommen. Sandpuper! Das war ein Wort, das bewegte. Kein starres Hülsenwort für etwas von dem man lieber nicht wissen will, was drin ist. Sandpuper kann man sich gut merken.
Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Ich spreche von all den verwaisten Worten, denen man das Wasser abgegraben hat, die im Staub liegen und die ihre verdorrten Wurzeln von sich strecken.
Ich habe sie vorsortiert, meine Worte.
In Sommerworte und Winterworte. Worte für Freunde und Worte für Fremde. Nach Farben. Oder Höhen und Tiefen. In Scharf, süß, sauer und salzig. Kalt, kühlend, wärmend, warm. Aufrecht und gebeugte Worte. Einsam. Schmackhaft und verziert ...
Zweier, dreier, vierer Worte. Du. Ich. Hier...
Geraspelt habe ich sie und leicht gesalzen. Fein gewürzt mit Ingwer und mit Kardamom. Zu kleinen Klößchen gerollt, in leichtem Aprikosensud geköchelt...
Seziert habe ich sie. In Scheibchen geschnitten, auf Fäden gezogen, in meinem Zimmer von einer Wand zur anderen gespannt im Wind getrocknet.

Fräulein Knaup war meine Lehrerin in der Dorfschule, zu der mich ein Feldweg an Klatschmohn, Kuckuckslichtnelken und Bullenwiesen vorbei führte. Eine Stadt und eine Schule in der Stadt gab es auch. Aber Gott sei Dank musste ich dort nicht hin.
Im Sommer gingen wir barfuß und im Winter schütteten wir jeden Morgen vorsichtig und schäufelchenweise fette Eierkohlen auf die Glut im Ofen. Und die Schülern der ersten bis zur dritten Klasse teilten sich den Raum und Fräulein Knaup.
Während die dritte Klasse Mathematikaufgaben löste, erzählte sie uns I-Männchen ganz aufgeregt vom eitlen A, das mit der Bahn in die Stadt fahren musste, wo es sich zum Geburtstag einen Hut leistete. Und weil auf dem Hut zwei große bunte Federn wippten, wurde das A noch eingebildeter und verlangte von allen, ja, sogar von den besten Freunden, dass sie es von nun an auf alle Zeiten mit dem höflicheren Ä anzureden hätten...

Ihre Worte..

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