Afghanistan ist überall

Painting ©reated by Nazim Mehmet

... Nun, was Minyia und ihr Leben betreffe, sagte der Alte mit dem zerfetzten Turban und räusperte sich scheinbar verlegen, aber doch auch so, als wolle er Zeit gewinnen, und sein Gegenüber aus dem Augenwinkel betrachtend verschränkte er die Arme und im Bruchteil eines Augenblicks schien er dort im Schneidersitz auf dem steinigen Wüstenboden verharrend abzuwägen, ob er überhaupt fortfahren solle oder nicht, und dann, nahezu unmerklich, überließ er sich seinen Bewegungen und das Kinn mit dem Daumen abfedernd, tastete sich der Zeigefinger über die Stoppeln auf Wange und Kinn.
Also was Minyia betrifft, fuhr er angespannten Blickes fort, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben, gebe ich Brief und Siegel, dass sie neugierig auf diese Welt kam. Seine Augen flackerten. Ein Bild stieg auf, stockte und trübte seinen Blick.
Gott, war sie neugierig, seufzte er unter Tränen.
Aber die Welt war nicht neugierig auf sie.
Er hob den Blick, sprach mit ernsten, großen Augen in die Kamera.
Und Minyia ist nur eines von Millionen Kindern.
Kraftlos wandte er sich ab.

Ich war den Bildern gefolgt.

Wer will schon mit Bestimmtheit sagen. wann genau Minyias Leben begann - falls man überhaupt von einem Anfang sprechen kann und nicht zugleich auch das Ende meint - denn gingen wir davon aus, wir bewegten uns in unserem Leben wie auf einem Land, das uns überlassen seinen Anfang und sein Ende hat, dann sagten wir nicht, schau dir dieses Kleinod an?
Das ist dein Land!
Schau, hier am Ufer, in diesem gelben Sand unter deinen nackten Sohlen beginnt es und unsere Hand würde der sanften Biegung des Baches folgen. Und dort, schau nur, in der Ferne bei jenen Bäumen, dort endet es. Bestelle es, genieße es!
Und wir kämen ob seiner Schönheit aus dem Staunen nicht heraus.
Zweifelsohne hinge unsere Beschreibung davon ab, wo wir in jenem Augenblick zu stehen kämen, welchen Boden unsere Füße berührten, denn stünden sie dort unter jenen Baumkronen, sagten wir unter Umständen, nun, wie du siehst, reicht dein Land von jener Ebene längs des Baches dort bis hierher zu diesen Mandelbäumen und der Blick würde hinauf zu den Kronen ins Licht schweifen...
Wo immer wir auch beginnen, dem Hier oder Dort, unser Geschick ist bestimmt von Geschicklichkeit, dem trotzigen Aufbegehren, das von Anbeginn weit über unsere Kräfte geht.
Im Augenblick der Geburt eines Wesens, einer Idee oder Erkenntnis, zerbricht die Dunkelheit unter der Urgewalt des auflodernden Feuers.
Und wir, wie soll ich das sagen, ersticken das Licht alles neu Geborenen damit die Welt uns so erhalte bleibe wie sie ist?
Fraglos. Es geschieht.
Unaufhörlich...

Ich stehe auf.
Ein Kaffee und eine Zigarette werden mir gut tun...

(diesen Text habe ich für Minyia geschrieben. In einer Reportage aus Afghanistan habe ich von ihr erfahren)













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